Stop Pickpockets - “Bachgefühl folgen”

Die Bahnpolizei (SPC) nimmt ab dem 22. Juni an einer koordinierten Sensibilisierungskampagne auf europäischer Ebene teil. Die Kampagne möchte die Reisenden über den Sommer aufmerksam machen auf das Phänomen der Diebstähle und Taschendiebstähle auf Bahnsteigen. Im Mittelpunkt der Kampagne stehen sechs kleine Monster, die jeweils einen häufig vorkommenden Modus Operandi darstellen. Wir sprechen mit Hauptinspektor Carlo Cerchi der Brüsseler Bahnpolizei. Er veranschaulicht, wie Diebe vorgehen und gibt Tipps wie man Taschendiebstahl vorbeugen kann.   

Hauptinspektor Carlo Cerchi

Hauptinspektor Carlo Cerchi ist seit 2012 vom Taschendiebstahl-Virus ergriffen und ist seit zwei Jahren Teamchef. „Nun ist es meine Aufgabe, meine Teammitglieder zu begeistern”, erzählt der Hauptinspektor. „Ich möchte, dass sich mein Team zu 100 Prozent und bis zur letzten Sekunde einsetzt.”

Die Brüsseler Kampagne wendet sich in erster Linie den Standorten zu, die in den eigenen Statistiken hervortreten, d.h. dem Brüsseler Stadtgebiet und insbesondere den fünf wichtigsten Brüsseler Bahnhöfen, Brüssel-Zentral, Brüssel-Süd, Brüssel-Nord, Luxemburg und Schuman. „Wir sind vor allem in Brüssel-Süd unterwegs wegen des internationalen Charakters des Bahnhofes”, sagt Carlo Cerchi weiter. „Dort befinden sich Züge, Straßenbahnen, Metros, Premetros, Taxen, Busse ins Ausland und es gibt eine Shopping-Gelegenheit … Viele Menschen, die man bestehlen kann.”

 

Mehr als ein Profil

Das Team von Hauptinspektor Cerchi geht phänomengerichtet vor. Ihren Schwerpunkt legen sie unter anderem auf alle Diebe und Taschendiebe, die in der Brüsseler Metrostation und im Bahnhof aktiv sind. Sie sind tagtäglich im Einsatz, idealerweise zu viert. Carlo Cerchi: „Drei Mann sind zu wenig, denn bei den meisten Modus Operandi sind mehrere Verdächtige am Werk, meist zwei, und dann gibt es da auch noch das Opfer, um das wir uns kümmern müssen. Wenn ein Zug in Brüssel-Süd einfährt, sehen wir meist sofort, wen wir im Blick haben müssen. Ethnische Profile legen wir nicht an, wir gehen meist nach Verhalten vor. Wir stellen uns sehr viele Fragen und wiegen Pro und Kontra ab, um zu bestimmen, ob die Person vor uns ein Taschendieb ist. Die wichtigsten Fragen, die wir uns stellen sind folgende: Aus welchem Grund befindet sich die Person im Bahnhof? Warum steht er oder sie eng bei den Reisenden? Steht er oder sie unter Einfluss? Ist nervös? Ein ‘normaler’ Tourist kann ein Dieb sein. Meist handelt es sich um Männer, aber auch Frauen schlagen zu. Von ihrer Herkunft abhängig spezialisieren sie sich in einem bestimmten Modus Operandi und stehlen entweder Brieftaschen, Handys, Notebooks, Reisetaschen, Handtaschen, usw. Dennoch konnten wir in letzter Zeit bemerken, dass sich Diebe nicht mehr nur auf einen Modus Operandi beschränken. Jeder Modus Operandi erfordert eine andere Positionierung der Kollegen, um eine Verfolgung einzuleiten, den Diebstahl zu sehen und den Verdächtigen auf frischer Tat zu fassen.”

Stop Pickpockets

 

Modi Operandi und Rollenverteilung

„Zurzeit ist eine ganze Generation Diebe im Einsatz, die keinerlei Respekt hat vor dem Bürger oder der Polizei, und auch nicht vor der Staatsanwaltschaft. Sie arbeiten in Gruppen, sind gut organisiert und passen sich rasch den Situationen an”, erzählt der Teamchef weiter.

„Wenn wir von Dieben sprechen, die spezialisiert sind und Bestandteil sind von umherwandernden Tätergruppen, erinnere ich mich an eine Gruppe, die täglich mit fünf Personen nach Brüssel kam. Einer der Diebe stand auf der Terrasse und observierte. Er stand in Kontakt mit den anderen, um Opfer auszuwählen und um Polizeikräfte zu sichten. Genau wie wir verfügen sie über einen sechsten Sinn und sehen die Polizei aus Entfernung kommen, sicherlich die älteren und schlaueren von ihnen. Beim kleinsten Zweifel setzen sie ihre Kumpanen in Kenntnis und verlegen ihr Aktionsfeld. Sie kaufen manchmal ein Ticket und setzen sich in einen internationalen Zug, weil sie denken, dass sie somit ungestört ihre Arbeit verrichten können. Es ist ein Katz- und Mausspiel, das sich für mich nicht als Arbeit anfühlt, sondern eher wie die Ausübung eines Hobbys.”

Den Methoden von Dieben sind keine Grenzen gesetzt. „Sie verteilen Umarmungen, lassen Münzen fallen oder spielen den ‘Zidane’ (Name eines berühmten, französischen Fußballers), der neuste Trend bei den Taschendieben: sie treten ganz nah an ihre Opfer heran und jonglieren zwischen ihren Beinen, jedoch ohne Fußball. Das Opfer ist kurz abgelenkt – die Diebe gehen meist auf diese Weise vor – und in dieser Zeit werden das Handy oder die Brieftasche gestohlen.” Achtung: der ‘Zidane’ wird als Diebstahl mit Gewalt angesehen. Die einfachere Bezeichnung lautet hier die ‘Fußballtechnik’.

Für die europäische Kampagne (www.stop-pickpockets.eu) entstanden sechs kleine Monster, die jeweils für einen Modus Operandi stehen. So geben es den Fensterklopfer, den Blockierer, den Rempler, den falschen Touristen, den Blumenschenker und den Fleckenmacher. „Wir sehen sehr häufig den Fensterklopfer und den Fleckenmacher”, erzählt der Hauptinspektor. „Der Fensterklopfer klopft an die Außenseite des Zugfensters. Der Mittäter im Zug stiehlt dann die Habseligkeiten (meist ein Laptop oder einen Rucksack) des abgelenkten Opfers. Der Fleckenmacher macht ‘unglücklicherweise’ Flecken auf die Kleidung des Opfers. Während der Reinigung der Flecken (zufällig hat ein Mittäter Papiertaschentücher dabei) wird das Opfer von seiner oder ihrer Reisetasche abgelenkt und ein Mittäter stiehlt die Tasche. Das Prinzip ist meist dasselbe: ein Täter lenkt das Opfer ab und der andere bestiehlt es.”

Als BDO-Trainer (Behavior Detection Officer) kann Hauptinspektor Cerchi Menschen und Verhalten gut einschätzen, da er ein Bauchgefühl entwickeln konnte. Er kennt die Rollenverteilung der Tätergruppen: „Zunächst haben wir den Zieher, der die Brieftasche (oder etwas anderes) ‚zieht‘. Dann haben wir den Blokker, der die Handlung verdeckt und dafür sorgt, dass niemand etwas merkt. Schließlich checkt der Beobachter, ob Polizei oder neugierige Reisende anwesend sind. Der Ablenker ist die Person, die am Zugfenster klopft oder Kaffee kleckert und dann gibt es noch den Versicherer. Wenn das Opfer bemerkt, dass es bestohlen wurde und fragt, ob jemand etwas gesehen hat ‘versichert’ er dem Opfer, dass es bestohlen wurde und schickt es in die verkehrte Richtung. Letztendlich, und diese Rolle ist am schwierigsten zu beweisen, der Leiter. Er führt sein Team an, trifft Termine zum Stehlen, usw. Bei jedem Diebstahl findet man meist eine dieser Rollen vor, obschon die meisten im Zweierteam arbeiten.”

Pickpockets

 

Hohe Erfolgsquote

Die Teammitglieder arbeiten wie eine gut geölte Maschine. Sie sind befreundet und wissen, was von ihnen erwartet wird. Sie behandeln alle Akten von A bis Z und Nachtschicht gehört dazu …

„Wir arbeiten gut mit den anderen Brüsseler Polizeizonen zusammen, wie mit den ‘Trekker’ und ‘Intel/ILP’ der Lokalen Polizei Brüssel HAUPTSTADT Elsene, BST der Lokalen Polizei Polbruno, UNEUS der Lokalen Polizei Brüssel Süd, sowie mit der Staatsanwaltschaft. Die Erfolgsquote liegt hoch”, sagt ein zufriedener Carlo Cerchi. „Wenn wir abends noch einen Taschendieb auf frischer Tat erwischen, sorgen wir dafür, dass die Akte so schnell wie möglich vollständig ist, was zu einer unmittelbaren Ladung oder einem Haftbefehl führen kann. 2020 gab es 146 Ergreifungen für ‘Diebstahl’ auf frischer Tat und 337 Vernehmungen mit Freiheitsberaubung (Salduz 4). Diese Zahlen sind sehr hoch und sind das Ergebnis davon, dass viele Akten anhand von Kamerabildern aufgeklärt werden können. 73 Täter wurden der Staatanwaltschaft zur Verfügung gestellt und es fanden 15 unmittelbare Ladungen statt. 40 Personen erhielten einen Haftbefehl oder Festnahmebefehl. Minderjährige erhielten meist keine Strafe.”

Hauptinspektor Cerchi war im November 2020 in dem Ermittlungsprogramm FAROEK wegen eines Falls von shoulder surfing. Ein Taschendieb, der 29 Taten begangen hatte (zwischen 2016 und 2020), wurde gesucht … und gefunden. „Alle Taten konnten auf Bild festgehalten werden”, erklärt Carlo Cerchi. „Dank der Zusammenarbeit mit und der Motivation zahlreicher Kollegen sowohl der Lokalen als auch der Föderalen Polizei (wie der Direktion der Einsätze in Bezug auf die gerichtliche Polizei/DJO) konnten wir dies erreichen.”

 

Wenn der Chef Pizza bestellt …

Um nicht aufzufallen, müssen sich die Teammitglieder so unauffällig wie möglich verhalten und kleiden ... „Wir kleiden uns so, als ob wir mit Freunden im Bahnhof ein Bier trinken gehen”, lacht Carlo Cerchi. „Freizeitkleidung also. Wir bleiben ständig in Bewegung und kommunizieren die ganze Zeit miteinander. Man muss den Dieben ein wenig Arbeitsraum geben, um sie auf frischer Tat zu fassen. Ein schlechter Tag für uns ist ein Tag mit vielen Verfolgungen ohne Ergebnis. Wir können auf diese Weise manchmal 25 Kilometer zurücklegen. Und wenn ich Essen bestelle und mit meinem Team essen möchte, schlagen die Diebe garantiert zu… So haben wir unlängst auf frischer Tat einen versuchten Totschlag verhindert. Die versprochene Pizza ist dann mit einer Verspätung von 5 Stunden angekommen …”

BDO undercover

 

Tipps gegen Diebstahl und Taschendiebstahl

Der wichtigste Tipp: lassen Sie Bargeld Zuhause! Lassen Sie sich von keinem ablenken oder annähern. Achten Sie – sicherlich zu Coronazeiten – auf die anderthalb Meter Abstand. Stecken Sie Ihr Handy oder Ihre Brieftasche nicht in Ihre Hosentasche und tragen Sie Ihre (Hand-)Tasche mit der Öffnung voran, nicht auf dem Rücken. Halten Sie die notwendigen Nummern bereit, wie die Imei-Nummer Ihres Handys (welche erscheint, wenn Sie *#06# eingeben) und die Nummer von Card Stop (070 344 344).

 

Trotzdem Opfer geworden?

Sollten Sie dennoch Opfer geworden sein, kontaktieren Sie dann so schnell wie möglich die Polizei und melden Sie den Diebstahl. Geben Sie eine klare Beschreibung des Gestohlenen an, sowie auch vom vermeintlichen Täter. Versuchen Sie so deutlich wie möglich die Uhrzeit und den Ort der Taten anzugeben, so dass die Polizei Kamerabilder auswerten kann. Ihre Hilfe kann dazu führen, dass andere an diesem Tag nicht zum Opfer werden! Rufen Sie bei Notfällen folgende Nummern an:

  • 101 für die Polizei
  • Die internationale Notrufnummer 112
  • Securail (0800 30 230), die die Sicherheit in den SNCB-Bahnhöfen gewährleistet.

Auf www.besafe.be finden Sie viele Tipps gegen Diebstahl und was Sie als Opfer tun können.

Nähere Informationen über internationale Kampagnen mit dem Modus Operandi der sechs Monster finden Sie auf www.stop-pickpockets.eu.